An der Wende zum 19. Jahrhundert fragte Kant: «Warum ist die Arbeit die beste Art, sein Leben zu geniessen?» Die Antwort darauf: «Weil sie eine beschwerliche (an sich unangenehme und nur durch Erfolg ergötzende) Beschäftigung ist, und die Ruhe durch das blosse Verschwinden einer langen Beschwerde zur fühlbaren Lust, dem Frohsinn, wird…» Noch prägnanter ist ein Ausspruch des Grafen Zinzendorf: «Man arbeitet nicht allein, dass man lebt, sondern man arbeitet um der Arbeit willen.»
Die Folge davon war, dass die Lebenszeit des Einzelnen ein einziger langer Arbeitstag war. Die Ruhe kam erst mit dem Tode. Von dieser harten Regel blieben offenbar nur die Frauen der sogenannten gehobenen Stände ausgenommen. Die Epoche stand ganz im Zeichen der Konsum-Askese, mit dem Ziel der Kapitalbildung, grosser Investitionen in neue Erfindungen und der dauernden Produktivitätssteigerung.
Eines steht heute fest: Unser Verbrauch an Gütern und Dienstleistungen steigt täglich und beansprucht deshalb einen wachsenden Anteil unserer immer auf 24 Stunden begrenzten Zeit.
Wenn wir uns vom Grafen Zinzendorf und Kant distanzieren und in die postmoderne, japanische Zen-Philosophie reisen, gibt es zwei grundlegende Fragen, die Mitte der 1960er-Jahre, als der Lebensstandard durch den ökonomischen Aufschwung eine Verbesserung erfuhr, im japanischen Zeitschriften und Büchern, einen Boom aufzeichnete:
Ikigai und Shinigai
Salopp übersetzt heisst Ikigai: Das, wofür es sich zu leben lohnt. Und Sie ahnen vielleicht schon, was Shinigai heisst: Das, wofür es sich zu sterben lohnt. (Wofür ich bestimmt bin. Die eigene Suche nach der Bestimmung)
Da das Leben zeitlich begrenzt ist, können wir uns auch fragen, wofür lohnt es sich, Zeit aufzuwenden und wofür lohnt es sich nicht, unsere wertvolle Zeit aufzuwenden?
Diesbezüglich möchte ich gerne über Werte, Visionen und Missionen erzählen, wie wir diese heutzutage in jedem Büro auffinden. Begriffe wie «Kaizen» finden Sie garantiert in jedem Workshop, wenn es darum geht, die Qualität des Arbeitslebens stetig zu verbessern. Kaizen ist jedoch nicht unbedingt ein Wert, wie zum Beispiel Nachhaltigkeit, Respekt, Pünktlichkeit und andere ähnliche Begriffe, die Werte einer Firma darstellen.
Kaizen heisst sich in kleinen Schritten, stetig mit dem Wandel der Zeit und der Veränderung, zu verbessern. Vor allem heisst das für Mitarbeiter, wie auch Kadermitglieder und Inhaber einer Firma: Sich jeden Tag der Verbesserung zu widmen.
Es reicht heutzutage nicht mehr, jährliche Missionen und Visionen zu definieren, die dann im Büro verstauben. Heutzutage sollte man sich beinahe im Stundentakt fragen: Fühle ich mich dem Lebendigsein gegenüber positiv? Lohnt es sich, so weiterzuleben?
Diesbezüglich macht es Sinn, statt Werte, Tabus im (Arbeits-)Leben einzuführen: Ein erstes Tabu wäre zum Beispiel, dass es verboten ist, die Tabus nicht zu beachten. Ein zweites Tabu wäre, dass es verboten ist, respektlos mit Mitarbeitern umzugehen. Ein drittes Tabu wäre, dass es falsch ist, von Fehlern nicht zu lernen.
Nun möchte ich gerne erläutern, wieso es sich lohnt nach einigen einfachen Tabus zu leben:
Tabu heisst sich permanent und bedingungslos einzuschränken. Zum Beispiel: Ich schränke mich jeden Tag dazu ein nicht zu lügen. Statt, dass ich mich zwinge jeden Tag jedem die Wahrheit erzählen zu wollen, mache ich es mir einfacher und verbreite bewusst keine Unwahrheiten.
Einschränken wirkt auf die meisten Menschen negativ, da das Wort in einer schlechten Weise gebraucht wird: «Bist du beschränkt?» oder «Nein, ich lasse mich nicht einschränken!»
Vergessen wir aber nicht, dass die Zeit auch «beschränkt» ist. Sich im Leben einzuschränken heisst, bewusster zu leben und wenn wir nun schon über das Thema Bewusstsein sprechen:
Auch Meditation heisst, sich auf den Atem und möglichst k(l)einen Gedanken (kl)einzuschränken um sich damit dem Grösserem bis ins Unendliche zu öffnen. Durch Einschränkung lernen wir uns der gesamten Verbesserung zu widmen und gebühren der Zeit und dem Wandel den höchsten Respekt.
Stellen Sie sich auch mal die Frage: Wofür lohnt es sich zu leben? Wofür lohnt es sich zu sterben? Was will ich sein? Und: Was will ich vor allem nicht sein?
(Quellen & Inspiration: «Pantha Rhei» Paul Erni, Wikipedia)
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