Eigentlich ist ja nichts falsch daran zu behaupten, dass wir in der Moderne leben. Als “modern”, bezeichnet man immer die neue oder neueste Zeit und ihr dazugehöriger Geist. Doch literarisch gesehen, sind wir längst über die Moderne hinaus. Wir leben in der Postmoderne. Anders ausgedrückt: Wir leben in der Nachmoderne. Und um überpräzise zu sein: Ich schreibe jetzt gerade aus der postmodern-gegenwärtigen Epoche.
Die literarische Epoche der Moderne beginnt in den 1880er Jahren und findet ihr Ende in den 1920er Jahren. Sie ist geprägt von enorm kreativen, künstlerischen Bewegungen. Der Expressionismus und der Impressionismus sind beispielsweise Unterepochen der Moderne, aber auch die Avantgardisten, Futuristen, die Nachfolger der Realisten und jegliche andere weltbewegende Bewegungen hatten ihr Zeitalter in der Moderne. Die Liste der modernen Ära ist lang und reichhaltig.
Es war eine fortschrittliche Epoche, sowohl wissenschaftlich als auch künstlerisch und geistig. Mit diesem Fortschritt – jedoch – entstand auch ein immer herrschender Druck nach “mehr” und eine Habgier, die in den darauffolgenden Jahren tiefe Narben in unserer Geschichte hinterliess.
Wir wollen nicht lange über die Geschichte schreiben. Gehen wir zum Kern der Moderne und fragen wir uns, was für einen Einfluss hat es auf uns “postmodernen” Menschen?
Das Wort “modern” hat etymologisch gesehen seine Wurzeln im indoeuropäischen “med”, was so viel wie “genaue Massnahmen ergreifen” bedeutet. Diesen Stamm findet man dann in zahlreichen Wörtern wieder. Im Wort Model, Medien, Medium, Meditation, Modul, Medizin, Medikament – um einige davon aufzuzählen. Sehen Sie hier schon was passiert?
Im Sanskrit heisst “midiu” “Ich urteile”, im Avestischen heisst “vi-mad” “Physiker” und im Griechischen “mēdomai” “achte darauf” oder “medesthai” “denke darüber nach”. Wir finden erneut ähnliche Züge der Bedeutung. Überall finden wir ein Verlangen nach gewisser Genauigkeit und die Suche nach einem Mittel zum Zweck.
Zurück zur Frage: Was können wir nun unter der Postmoderne verstehen?
In der Nachmoderne gibt es nun zwei grundlegende Eigenschaften: Einerseits nähert man sich dieser Genauigkeit und strebt nach immer mehr Schärfe und Klarheit. Es geht darum, die besten, genauesten und sichersten Verfahren zu erarbeiten, um technologisch weiterhin Fortschritte zu machen. Gleichzeitig distanziert man sich in manchen Situationen bewusst – stilistisch natürlich zugunsten der Qualität – von diesen allzu genauen, modernen Eigenschaften. Man sucht bewusst auch rohe, simple, verschmutzte, verrauschte oder sogar verzerrte Eigenschaften, die einer Idee Authentizität verleihen. In der Nachmoderne sind wir präzise wie noch nie – gleichzeitig streben wir aber auch eine gewisse Asymmetrie und Imperfektion an.
Schlussendlich: Modern zu sein heisst, sich der Gegenwart bewusst zu werden und eine genaue Vorstellung zu haben, in welche Richtung man sich bewegt. Der Begriff “modern” wird auch über unsere momentane Moderne wachsen und auch die Epoche der “Nachmoderne” muss irgendwann ein Ende haben. Aber egal wie weit wir in der Zukunft sind, wir blicken auf unsere Vergangenheit zurück. Aus diesem Grund: Wir, die “Jetztmodernen”, haben reichlich Zeit, aus den Entwicklungen unserer Vorfahren zu lernen und im besten Fall sogar, etwas Neues daraus zu kreieren – etwas – dass erneut neue Wege öffnet und wieder neue Menschen bewegt.
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